Gemeinsames Positionspapier der Umweltverbände und Bündnis 90/Die Grünen: Vier Jahre Umweltpolitik in Thüringen – Was wollen wir ändern?

27. September 1994 | BUND, Nachhaltigkeit, Naturschutz

Die Umweltverbände in Thüringen und Bündnis 90/Die Grünen Thüringen haben gemeinsame Ursprünge in der Umweltbewegung der DDR. Die umweltpolitische Orientierung der Verbände wurde und wird in der parlamentarischen Arbeit in aller Regel von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. Dabei werden die unterschiedlichen Ansprüche der Umweltverbände berücksichtigt und Forderungen gebündelt vertreten.

Durch die Thüringer Landesregierung werden gigantische Großprojekte aus der Zeit vor 1990 fortgeschrieben. Talsperrenprojekte, Autobahnen, überdimensionierte Steinbrüche und unvollständige Schutz-und Entwicklungskonzeptionen bedrohen die zum überwiegenden Teil intakte Kulturlandschaft Thüringens. In Regionen mit hohem Sanierungsbedarf sind die natürlichen Lebensgrundlagen Boden, Wasser und Luft gefährdet. Unsere gemeinsamen Erfahrungen und das Wissen um einen dringend notwendigen Richtungswechsel in der Umweltpolitik sind Anlaß für dieses Positionspapier. Stärkere und verbindlichere Verankerung von Ökologie, Umwelt- und Naturschutz in der Thüringer Verfassung, einschließlich weitreichender Regelungen zur Beteiligung, halten wir für dringend geboten. Förderprogramme müssen sich an den Interessen von Ökologie, Umwelt- und Naturschutz orientieren.

  1. Ökologische Politik und demokratische Beteiligungsrechte sind in Thüringen unverzichtbare Bestandteile in der Auseinandersetzung um eine nachhaltige Entwicklung. Der wichtigste Weg dahin ist die deutliche Erweiterung der Mitwirkungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie Vereinen, in Genehmigungsverfahren und bei der Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen, die die Belange des Umweltschutzes betreffen. Bündnis 90/DieGrünen und die Umweltverbände setzen sich für die wesentliche Erleichterung der Akteneinsicht in Thüringen ein. Die in den Verbänden vorhandene Sachkompetenz soll stärker in umweltpolitische Entscheidungen einfließen. Dazu wollen Bündnis 90/Die Grünen die Verbandsförderung deutlich erhöhen.
  2. Die Umweltverbände Thüringens und Bündnis 90/Die Grünen Thüringen wollen eine ökologische Steuerreform. In Thüringen sollen dazu baldmöglichst Wassernutzungsentgelte nach Thüringer Wassergesetz, insbesondere für Bergbauvorhaben, erhoben und eine Abfallabgabe eingeführt werden. Wir unterstützen Initiativen zur bundesweiten Einführung einer Primärenergiesteuer bei gleichgewichtiger steuerlicher Entlastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
  3. Energiesparen ist aktiver Klimaschutz. In Thüringen soll dazu die Effizienz der Energiewandlung durch die Stärkung des kommunalen Energiesektors gefördert, Einsparpotentiale bei Raumheizung ausgeschöpft und nachdrücklich auf die lineare Gestaltung der Energietarife Einfluß genommen werden. Die Möglichkeiten zukünftiger Energiesparpolitik sollen in den nächsten Jahren modellhaft an einer "Solarsiedlung Thüringen" und an der stärkeren Förderung der Nutzung regenerativer Quellen gezeigt werden.
  4. Umweltverträglichkeit beginnt bei der Landes-und Regionalplanung. Das Landesentwicklungsprogramm soll entsprechend novelliert und die Wirtschaftsförderung an Kriterien der ökologischen Nachhaltigkeit orientiert werden. Dahingehend sollen die Förderrichtlinien verändert sowie den besonderen Anforderungen in Schutzgebieten angepaßt werden.
  5. Bergbau ist der Wirtschaftsbereich mit dem höchsten Landschaftsverbrauch und der Tendenz zur Zerstörung von Jahrhunderte alten Kulturlandschaften. Die Umweltverbände und Bündnis 90/Die Grünen setzen sich dafür ein, daß der Umfang der Bergbauvorbehaltsflächen verringert wird, das Rahmenbetriebsplanrecht angewendet und ausgedehnt wird, sowie eine landesrechtliche Grundlage in Form einer Landesbergbauverordnung erhält, die insbesondere die Pflicht zu Umweltverträglichkeitsprüfungen verschärft. Bündnis 90/Die Grünen und die Umweltverbände wollen, daß die Naturschutzbehörden als Einvernehmensbehörden im Bergrecht festgeschrieben werden.
  6. Der Bau der Autobahnen A81/A73 und A82 und der ICE-Strecke zwischen Nürnberg und Erfurt sind gigantische Großprojekte, die unwiederbringliche Landschaften im Thüringer Wald und im Südharz zerschneiden und deren Auswirkungen auf den Wasserhaushalt und die Luftbelastung der Regionen unkalkulierbare Risiken tragen. Die genannten Projekte tragen weder zur notwendigen Verkehrsvermeidung noch zur Innovation im verkehrstechnischen Sinne bei. Bündnis 90/Die Grünen und die Umweltverbände lehnen diese Projekte ab. Sie setzen sich für eine flächendeckende Sanierung des Schienennetzes und die Festschreibung eines Mindeststandards bei der Zugvertaktung ein. Für den öffentlichen Personennahverkehr wollen Bündnis 90/Die Grünen und die Umweltverbände Mindeststandards und eine ausreichende und gesicherte Finanzierung gesetzlich festschreiben.
  7. Die Vermeidung von Abfällen und die werkstoffliche Wiederverwertung sind die Schwerpunkte der Abfallpolitik von Bündnis 90/0ie Grünen und den Umweltverbänden. Wir wollen dazu regionale Verwertungsstrukturen fördern. Im Vordergrund der Abfallpolitik stehen jedoch gezielte Vermeidungsstrategien, insbesondere für PVC.
  8. Die Umweltverbände und Bündnis 90/Die Grünen wollen die Stärkung regionaler Strukturen bei der Wasserversorgung. Im Vordergrund stehen dabei der Erhalt und die Sanierung von Grundwasservorkommen und der vorrangige Erhalt und die Sanierung von Wasserschutzgebieten. Wir lehnen den Bau der Talsperre Leibis ab.
  9. Bündnis 90/Die Grünen und die Umweltverbände lehnen gentechnische Forschungen in Thüringen ab. Wir treten ein für eine Umstrukturierung gentechnisch arbeitender Institute in Richtung ökologisch verträglicher Forschung. Die Erzeugung und die Anwendung gentechnisch erzeugter Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika, für die es bisher scheinbar keine Alternativen gibt, wollen wir gemeinsam kritisch begleiten.
  10. Die Umweltverbände und Bündnis 90/Die Grünen setzen sich dafür ein, daß eine umfassende Schutzgebietskonzeption im Rahmen der Landesplanung erarbeitet wird. Dabei ist der Schutz der Umweltmedien Wasser, Luft und Boden mit dem spezifischen Artenschutz zu verbinden. Wir wollen den Erhalt des Schutzstatus für die Biosphärenreservate „Rhön“ und „Vessertal“ sowie die Herstellung des Status Biosphärenreservate für das Gebiet "Südharz-Kyffhäuser". Für das Gebiet "Hainich" soll der Status des Nationalparks geprüft werden.
  11. Die Schwerpunkte der Altlastsanierung liegen in Ostthüringen. Für Bündnis 90/Die Grünen und die Umweltverbände hat die Sanierung der Altlasten des Teerwerkes Rositz höchste Priorität, da in dieser Region eine hohe akute aber auch chronische gesundheitliche Gefährdung besteht. Die Anwendung der Strahlenschutzverordnung zur Bewertung der Gefährdungen durch Uranaltlasten ist ein wichtiges Ziel von Bündnis 90/Die Grünen. Die Umweltverbände wollen dieses Ziel und die Sanierung der Uranfolgelandschaft mit hoher Öffentlichkeitspräsenz begleiten. 

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