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Talsperren Leibis und Goldisthal zerstückeln den Thüringer Wald

02. Februar 1993 | Mobilität, Lebensräume

Im Thüringer Wald sind zwei Großprojekte der ehemaligen DDR-Regierung im Bau, die ohne Rücksicht auf die Umwelt mit Mitteln aus dem Programm "Aufschwung Ost" weitergebaut werden: Die Trinkwassertalsperre Leibis (nördlich von Neuhaus am Rennweg) und das Pumpspeicherwerk Goldisthal (westlich von Neuhaus am Rennweg), das mit 3000 MW das größte seiner Art in Mitteleuropa werden soll.

Beide Projekte wurden in der DDR wegen Geldmangels verzögert bzw. auf Eis gelegt. Für derartige Großbauten bleibt laut deutschem Einigungsvertrag aber das alte DDR-Recht in Kraft: Sie dürfen ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Rücksicht auf die Umwelt weiter gebaut werden. Westdeutsches Kapital macht möglich, was die DDR in ihren letzten Jahren nicht mehr ausführen konnte.


Zusammen mit der geplanten ICE-Trasse Bamberg/Erfurt und den Autobahnen Schweinfurt/Erfurt bzw. Coburg/Erfurt wird der Thüringer Wald Tal für Tal zerschnitten. Der BUND Thüringen und der Bund Naturschutz Bayern werden alle Kräfte mobilisieren, diese Zerstörungswut zu bremsen. Die beiden Projekte sind für eine nachhaltige Wasser- und Energieversorgung unnötig und stellen eine Verschleuderung von Steuergeldern und eine Zerstörung wertvoller Landschaften dar.

Trinkwasserspeicher Leibis

Um die marode Trinkwasserversorgung in Thüringen und Sachsen nicht sanieren zu müssen, begann die DDR-Regierung im Jahre 1979 im Tal der Lichte mit dem Bau eines gigantischen Trinkwasserspeichers: Rund 50 Mio m3 Wasser sollen hinter einer 110 Meter hohen Mauer aufgestaut werden. Die Bewohner des Ortes Leibis sollen bis 1992 ihren Ort räumen, da er unter den Fluten des Trinkwasserspeichers verschwinden wird. Ein paar Kilometer unterhalb wird derzeit Neu-Leibis errichtet. Das Projekt, in dem eines der schönsten Seitentäler der Schwarza versinkt, wird mit Mitteln von Bundesumweltminister Töpfer realisiert. Der Bau soll bis zur Jahrtausendwende abgeschlossen sein. Schon jetzt fielen dem Vorspeicher Deesbach und den anderen Baumaßnahmen zig Hektar Wald und ein erheblicher Teil des Naturschutzgebietes "Neuraer Heide" zum Opfer. BUND Thüringen und Bund Naturschutz Bayern befürchten, daß der Trinkwasserspeicher Leibis im Verbund mit den (kleineren) bayerischen Trinkwasserspeichern Teil eines gigantischen Verbundsystemes Bayern/Thüringen wird, das umweltfreundliche Wasserversorgungskonzepte im Keim erstickt. Die meisten Arbeitslosen hoffen vergeblich auf einen Arbeitsplatz an der Großbaustelle Leibis. Den Bau führt der westdeutsche Betongigant HOCHTIEF aus, ein Tochterunternehmen des Stromunternehmen RWE. HOCHTIEF versucht mit Aufträgen wie Leibis seinen wegen mangelnder Großaufträge in Westdeutschland (Wackersdorf, Atomkraftwerke etc.) schlecht ausgelasteten Gerätepark und sein Personal zum Einsatz zu bringen.

Pumpspeicherwerk Goldisthal

Die HOCHTIEF-Schilder stehen auch schon an den Betriebswohnungen der Großbaustelle Pumpspeicherwerk Goldisthal. Oberhalb des gleichnamigen Ortes im Schwarzatal begann in den 70er Jahren (ebenfalls als Geheimprojekt der DDR) der Bau des mit Abstand größten Pumpspeicherwerks in Mitteleuropa. 1980 wurde der Bau aus Geldmangel unterbrochen. Die Schwarza soll nach den ursprünglichen Plänen oberhalb von Goldisthal mit einem 96 Meter hohen Damm aufgestaut werden (das sog. Unterbecken). 300 Meter darüber soll der Gipfel des Farmdenkopfes, einer der höchsten Berge des Thüringer Waldes, weggesprengt und an seiner Stelle ein mehrere Millionen Kubikmeter großes Oberbecken im Berg untergebracht werden. Beide Becken werden mit meterstarken Druckleitungen verbunden sein. Im Berg soll ein Kavernenkraftwerk mit einer Leistung von 1080 MW entstehen. Bei Stromüberschuss werden die Wassermassen aus dem Unterbecken den Berg hinaufgepumpt. Bei Strombedarf laufen sie über die Turbinen wieder hinab. Die Wasserbewegungen sind derart gigantisch, daß der Wasserspiegel des Unterbeckens sich mehrmals täglich um bis zu 30 Meter heben und senken wird.

Wertvolle Natur zerstört

Die Landschaft im Schwarzatal ist bereits verunstaltet, ca. 200 ha Hangwälder sind gerodet und Trassen für Bau- und Ersatzstraßen aufgeworfen. Das geplante Oberbecken würde das Naturschutzgebiet Wurzelbergfarmde zerstören, ein äußerst seltener Bergmischwald aus Buche, Fichte und Tanne, Zufluchtsstätte zahlreicher bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Berühmt wurde der Farmdenkopf auch durch die größte Tanne Deutschlands, die er beheimatet. Am Unterlauf der Schwarza ginge das Naturschutzgebiet "Schwarzatal" durch völlige Veränderung der Hydrologie und Biologie des Flusses verloren.

Steigbügelhalter der Energieverschwendung

Gigantische Pumpspeicherwerke sind die technische Voraussetzung zum Betrieb von Großkraftwerken (Atomkraftwerke, große Stein- bzw. Braunkohlekraftwerke). Denn einerseits müssen bei Ausfall eines Großkraftwerkes gleich große Strommengen in Sekundenschnelle im Netz verfügbar sein (was in der gebotenen Eile nur mit Pumpspeichern möglich ist) und andererseits verlangen Großkraftwerke einen vom schwankenden Stromverbrauch unabhängigen Dauerbetrieb, Tag und Nacht. Mit Pumpspeicherwerken lässt sich damit überschüssiger Strom "speichern", bis er zur Anwendung kommt. Die Bayernwerk AG hat größtes Interesse an den thüringischen und sächsischen Pumpspeicherwerken, da sie in Bayern Großkraftwerke betreibt, die bislang auf entfernte und viel kleinere Pumpspeicherwerke in den österreichischen Alpen angewiesen war. Bei Markersbach am Fuße des Erzgebirges steht bereits ein 1050 MW großes Kavernenkraftwerk. Das Goldisthaler Projekt würde den Wünschen des Bayernwerkes und anderer großer Stromversorger entsprechen, da dieses zentraler liegt. Die Bayernwerk AG baut direkt von Redwitz (Oberfranken) nach Remptendorf (Thüringen - südöstlich von Saalfeld) eine 380-kV-Leitung, mit der bis zu 3400 MW elektrischer Strom transportiert werden kann. Von Redwitz aus gehen drei Leitungen zu dem Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (1500 MW), zum geplanten Steinkohlekraftwerk Franken III bei Erlangen (750 MW) und zu den ost-bayerischen Großkraftwerken. Über Remptendorf werden diese Kraftwerke mit dem großen Pumpspeicherwerk Markersbach verbunden. Die fehlende kurze Stichleitung von Remptendorf nach Goldisthal ließe sich schnell errichten.

Strompolitik der Bayernwerk AG unter Kritik

Seit Jahren wird die Stromverschwendungspolitik der Bayernwerk AG vom Bund Naturschutz und anderen Umweltverbänden kritisiert. Die drohende Klimakatastrophe machte allen Energieexperten klar, daß die bisherige Strompolitik der großen Versorgungsunternehmen in eine Sackgasse geraten ist. Dennoch versuchen Bayernwerk AG und Tochterunternehmen mit Langzeitverträgen die Stromverschwendung weiter aufrecht zu erhalten. Das Bayernwerk hat vor einiger Zeit bereits angekündigt, daß es als Nachfolger der volkseigenen Verbundunternehmen auch weiterhin auf die großen Braunkohlekraftwerke setzen wird. Dieses Atomkraft-Braunkohle-Konzept erfordert das Pumpspeicherwerk Goldisthal. Vertreter des Aufbaustabes Goldisthal haben bereits mitgeteilt, daß das Pumpspeicherwerk unbedingt erforderlich sei. Der Leiter des Aufbaustabes, Ingenieur Fehrmann, stellte in einer Bürgerinformation fest, das Pumpspeicherwerk liege "im Herzen des geplanten deutsch-deutschen Elektroenergieverbundes".

Trinkwasserspeicher und Pumpspeicherwerk überflüssig

Sowohl die Trinkwasser- wie auch die Stromversorgung bedürfen keiner derart gigantischen Projekte, wenn sie nach modernen, umweltgerechten Kriterien organisiert werden. BUND Thüringen und Bund Naturschutz Bayern werden sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln dafür einsetzen, daß auch in den neuen Bundesländern die Betroffenen Gehör finden und ordentliche Umweltstandards ein-geführt werden. Es darf nicht sein, daß umweltfeindliche Projekte, wie sie in Deutschland West nicht mehr erlaubt oder zumindest nicht mehr durchsetzbar sind, kurz vor Torschluß noch die Landschaft der östlichen Bundesländer zerstören. 

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