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Aus dem "Waldschadensbericht" wurde ein "Waldzustandsbericht"

17. November 1994 | Wälder, Naturschutz, Lebensräume, Umweltgifte

BUND beklagt: 100 Prozent der Alteichen in Thüringen geschädigt – Konsequente und radikale Maßnahmen notwendig

Eisenach. "Thüringens Wälder sind nach wie vor schwer geschädigt, nur noch jeder 5.Baum ist gesund." Auf dieses wenig ermutigende Fazit macht der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Thüringen, nach Auswertung des seit neuestem ''Waldzustandsbericht'' genannten Waldschadenserhebung 1994 für den Freistaat Thüringen aufmerksam.

Zwar lasse sich beim Vergleich der Schadensberichte seit 1992 bei den Baumarten Fichte, Kiefer und Buche durch den geringer werdenden Anteil von deutlich geschädigten Bäumen eine Vitalitätsverbesserung erkennen. Das immer noch beängstigend hohe Schadensniveau relativiere jedoch diesen Trend. "Insbesondere die Eichenbestände befinden sich in einem katastrophalen Zustand. Sie sind mittlerweile wichtigster Indikator, daß die Waldökosysteme den komplexen Streßfaktoren nicht mehr gewachsen sind", so Frank Henkel, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes.

Alte Bäume besonders geschädigt

Das ganze Ausmaß der Waldschäden wird nach Ansicht des BUND erst bei der Analyse des Gesundheitszustandes der über 60jährigen Bäume deutlich. Dies sei besonders unter dem Aspekt der höheren ökologischen Wertigkeit gesunder und alter Wälder zu beachten. Für die 4 Hauptbaumarten ergebe sich danach für 1994 folgendes Bild:
Baumart (über 60 Jahre)    Schadensstufe 1-4 in %
Eiche                                          100
Fichte                                          93
Buche                                          91
Kiefer                                           90

BUND-Landesgeschäftsführer Michael Spielmann sieht in diesen Zahlen die Bestätigung dessen, was dem aufmerksamen Beobachter schon lange nicht mehr entgehe: "Eichen mit abgestorbenen Ästen im obersten Kronenbereich, Buchen mit krallenförmigen Kurztrieben und kleinen Blättern, Fichten mit Lamettasyndrom und Kiefern mit weniger als zwei Nadeljahrgängen sind an allen Standorten unübersehbar".

Fehlende Angaben zu schadensbedingten Kahlschlägen

Auffallend sei, daß die vorliegende Statistik wiederum keine Aussagen zu den schadensbedingt angefallenen Kahlflächen mache. "Dem BUND liegen jedoch Informationen vor, wonach in Thüringen seit 1991 mindestens 150.000 Festmeter Fichtenholz nach Borkenkäferbefall eingeschlagen wurden. Dies entspricht einer Waldfläche von rund 500 ha." Da vom Borkenkäfer vorrangig immissionsgeschädigte Bäume befallen würden, ergebe sich ein Zusammenhang, der zukünftig unbedingt in die Schadensstatistik aufgenommen werden müsse.

Unzureichende Schadenserhebungsdichte

Eine weitere methodische Unzulänglichkeit bei der Erhebung der Schäden sieht der BUND darin, daß aufgrund der zu geringen Stichprobendichte differenzierte Aussagen zur regionalen Verteilung der Waldschadensraten nur sehr bedingt möglich seien. Nur für 4 von insgesamt 15 Wuchsgebieten Thüringens lasse die Waldschadenserhebung daher regionalspezifische Rückschlüsse zu. Dem BUND zufolge wäre eine Verdichtung des Stichprobennetzes erforderlich, um diesen Mangel zu beheben. Dennoch sei bereits aus dem vorhandenen Datenmaterial ein Phänomen ablesbar, zu dessen wissenschaftlicher Klärung intensivere Forschungsleistungen nötig wären: "Niemand hat derzeit eine Erklärung dafür, warum selbst standortgerechte Buchenwälder bei scheinbar besten Bodenverhältnissen und fehlenden Schadinsekten ums Überleben kämpfen", so Frank Henkel.

Unterschätzung des Schadstoffes Ozon

"Offensichtlich spielt hierbei der Schadstoff Ozon als direktschädigendes Blattgift eine weitaus größere Rolle als bisher angenommen." Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen hätten ergeben, daß Buchen, die einer sechswöchigen Dauerbegasung von 0,15 mg Ozon/m3 ausgesetzt worden, mit Blattfärbungen und Deformation reagiert hätten. Angesichts der immer häufiger und länger auftretenden Sommersmogwetterlagen mit Ozonbelastungen von zum Teil weit über O,20mg/m3 , dränge sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Ozonkonzentration und Buchensterben geradezu auf, resümiert der BUND weiter.

Fortschreitende Schädigung der Böden durch Säureeintrag

Ein wesentlichen Hinweis auf die fortschreitende Schädigung der Böden im Gebirge des Thüringer Waldes gebe der Säureeintrag, der gebietsweise das Neunfache der Menge übersteige, die vom Boden natürlicherweise neutralisiert werden könne. Dies ist laut Angaben der Umweltschutzorganisation ein wesentliches Ergebnis laufender Forschungsarbeiten der Thüringer Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft: "Bei bleibender Immissionsraten ist es nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Waldquellen aufgrund überhöhter Nitrat- und Aluminiumwerte gesperrt werden müssen. So etwas wird mit Sicherheit auch keine Empfehlung für den Fremdenverkehr sein", gibt der Landesvorsitzende des BUND Thüringen, Ralf-Uwe Beck, zu bedenken.

Kalkung ist kein Allheilmittel

Überdies hätten neue Erkenntnisse der Waldschadensforschung im bayrischen "Höglwald" gezeigt, daß bei unsachgemäßer Kalkung aus einem Bodenproblem unter Umständen ein Trinkwasserproblem werde. "Umweltschutz als Umweltreparatur ist also auch in diesem Falle nur die zweitbeste Lösung", so Beck. Konsequente und radikale Gegenmaßnahmen sind gefordert.

Nach Einschätzung des BUND bedarf es eines Paketes "konsequenter und radikaler Maßnahmen", um aus dem Dilemma der schleichenden Waldzerstörung herauszukommen. So sei der Zeitpunkt veränderter Rahmenbedingungen für eine umwelt-und sozialverträgliche Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik längst überfällig. Dazu müsse zuerst dort angesetzt werden, wo unnötige Neubelastungen noch zu vermeiden seien. Dies gelte insbesondere für die Vielzahl von Straßenbauprojekten in Thüringen, namentlich für die geplanten Autobahnen A 81/A 73 und A 82. "Mit neuen Fernstraßen wird der Straßenverkehr weiter zunehmen und damit auch der Ausstoß waldschädlicher Abgase", ist sich Spielmann sicher.

Neben Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung hält der BUND Thüringen die Verabschiedung einer Sommersmogverordnung für dringlich. Die Versuche in Hessen und Baden-Württemberg hätten ergeben, daß damit in Spitzenzeiten nachweislich eine Luftentlastung erreicht werden könne.
Weiterhin fordert der BUND von Seiten der Landesregierung eine Wende in der Energiepolitik. Vorrangig sei dabei der Ausbau und die Förderung kommunaler Energiekonzepte anstelle von ökologisch und ökonomisch unsinnigen zentralistischen Strukturen. So dürfe das Pumpspeicherwerk Goldisthal nicht gebaut werden. Als Beispiel für die Chancen dezentraler Lösungen nannte der BUND die Stadt Meiningen, die durch den Bau von Blockheizkraftwerken und der Nutzung von Fernwärme in der Lage sei, ihren Primärenergieeinsatz mittelfristig um 27 Prozent zu senken, was dem Jahresenergieverbrauch von 12.000 Wohnungen entspräche.

"Die Thüringer Staatsregierung hat also nachweisbar erhebliche Handlungsspielräume bei der Gestaltung einer wirklich waldfreundlichen Politik. Solange sie dies jedoch nicht tut, darf das Landwirtschaftsministerium auch ruhig weiterhin einen Waldschadensbericht veröffentlichen", so die abschließende Empfehlung des BUND. 

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