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Lebensraum des Monats Oktober 1995: Streuobstwiesen

11. Oktober 1995 | Lebensräume, Naturschutz, Landwirtschaft

Eisenach. Gerade jetzt im Oktober locken die Streuobstwiesen wieder mit ihren reifen Früchten und ihrer Farbenpracht. Als ein sehr prägender und reizvoller Bestandteil unserer Kulturlandschaft umrahmen sie unsere Dörfer und laden zu einem Spaziergang ein. Viele Menschen nutzen die Früchte dieser Schatzkammern vor unserer Haustür. Schafe oder Ziegen weiden das Gras der Wiese ab oder es wird Heu geschnitten. Hier wachsen hochstämmige, heute meist alte Obstbäume verschiedener Sorten und Arten. Birnen- und Apfelbäume sind die klassischen Vertreter, dazwischen finden sich aber auch Kirsche, Pflaume und vereinzelte Heckenstücke.

Dieser äußerst abwechslungsreiche Lebensraum bietet einer Fälle von Tier- und Pflanzenarten Platz zum Leben. Der vom Aussterben bedrohte Steinkauz, der Wiedehopf, der Wendehals und verschiedene Spechte sind hier zu finden. Viele Tierarten brauchen Nisthöhlen, die sie meistens nicht einmal selbst bauen können. Das besorgen die Spechte, die zu den "sozialen Wohnungsbauern" gehören, weil sie mehr Höhlen anlegen, als sie eigentlich brauchen, und damit Brutmöglichkeiten für andere Höhlenbewohner schaffen. So sind zum Beispiel auch einige Säugetiere wie der Siebenschläfer oder die Fledermäuse Nutznießer dieser Eigenart des Spechtes.

Das tote Holz alter Obstbäume lockt viele Käferarten, wie den Heldbock, den Rosenkäfer oder den Wimpernbock an. Jede Art ist auf einen bestimmten Bereich des Holzes spezialisiert. So leben die einen auf dünnen Zweigen, die anderen in dicken, morschen Ästen oder in schon zu wolligem Mulm zerfallenem Holz. Auch Käfer leben "sozial", die Gänge der Larven mancher Käfer sind ideale Brutgänge für Wildbienen. Sie und andere Hautflügler leben von der Blütenvielfalt der Obstwiese. Schön anzusehende Veilchen, Wicken, Schlüsselblumen, Margeriten, Wiesensalbei oder der Wiesen-Gelbstern sind ideale Blütenpflanzen für Insekten.

Außerdem sind Streuobstwiesen wichtige Vernetzungselemente zwischen den verschiedenen Lebensräumen der freien Landschaft. Sie dienen als "Wanderwege" für viele Tiere.

Geschichtliches über die Streuobstwiesen
Im 17. Jahrhundert befahl Kurfürst Friedrich, daß jedermann mindestens zwei Obstbäume in seinem Garten anpflanzen solle. Im 18. und 19. Jahrhundert war es dann üblich, Apfel- und Birnensorten in größerem Maßstab in Form von Streuobstwiesen anzubauen. Es gab damals schon mehrere hundert verschiedene Apfel- und Birnensorten. Unsere Vorfahren wußten genau, wann geerntet werden mußte und welche Sorten zum Lagern, als Tafelobst oder als Saft geeignet waren. Schon damals erkannte man die Vorzüge der Streuobstwiese: sie war eine Zierde des Landes, bot Schutz und diente der Luftreinigung.

Immer mehr Streuobstwiesen verschwinden
Im 20. Jahrhundert setzte eine drastische Verdrängung der Streuobstwiesen durch Siedlungserweiterungen, Straßenbau, Flurbereinigung und den Bau von Gewerbegebieten ein, obwohl diese traditionelle Kulturlandschaft für Thüringen besonders landschaftsprägend war und zum Teil heute noch ist.
Die Bedeutung als Hauptobstversorger verloren die Streuobstwiesen, nachdem durch Obstgroßplantagen und durch Billigimporte der Bedarf weitgehend gedeckt wurde. Auch in Deutschland wurden Obstplantagen mit niederstämmigen Bäumen angelegt, auf denen bis zu 3000 Bäume je Hektar stehen, die gerade mal 15 bis 20 Jahre alt werden. Dort werden die gezüchteten Bäume durch Pestizideinsatz auf Hochleistung getrimmt. Durch die geringe Größe der Bäume und den Pestizideinsatz nimmt die Artenvielfalt in diesen Räumen rapide ab. Die Äpfel werden einer Größennorm unterworfen und dürfen keine äußeren Makel mehr haben. Das kann eine Streuobstwiese nicht bieten.
Inzwischen hat man erkannt, daß "verschrumpelte" Äpfel zwar nicht so schön aussehen, dafür aber gesünder sind. Immer mehr Verbraucher legen Wert auf den Geschmack und die Herkunft des Obstes. Sie wissen es zu schätzen, wenn das Obst naturbelassen auf einer Streuobstwiese reift, auf der keine Pestizide zum Einsatz kommen.
Aus diesen und auch aus Gründen des Artenschutzes für Tiere und Pflanzen sind Streuobstwiesen zu schützen, zu pflegen und gegebenenfalls neu anzulegen.

BUND-Gruppe "Vordere Rhön" pflegt Streuobstwiese am Hutsberg
Die Ortsgruppe "Vordere Rhön" des BUND Thüringen nahm sich 1993 dem Heftenhof an, einer vernachlässigten Streuobstwiese, die am westlichen Fuß des Hutsberges liegt. Ziel war es, die ein Hektar große Fläche mit den alten knorrigen Obstbäumen wieder so herzurichten, daß sie Platz für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten bietet. Die engagierten Mitglieder des BUND "Vordere Rhön" haben etwa 200 Arbeitsstunden für Pflegemaßnahmen investiert. Die Bäume wurden zur Erhaltung zurückgeschnitten und einmal im Jahr ein Teil der Wiese zur Heunutzung gemäht. Doch durch diese Pflegemaßnahmen allein ist dem Baumbestand kein ewiges Leben beschieden. Deshalb pflanzten die BUND-Mitglieder alte Obstsorten neu an, insgesamt 17 Apfel- und Birnensorten, wie zum Beispiel Pastorenbirne, Kaiser Wilhelm, Bohnapfel, Gewürzluiken und andere. Sie sollen eines Tages die Lücken der altersschwachen Bäume schließen.
Das anfallende Schnittgut wurde am Rand der Streuobstwiese als Wall aufgeschichtet, einer sogenannten Benjeshecke. In diesem wirren Asthaufen finden Kröten, Spitzmäuse und verschiedene andere Kleinsäuger Unterschlupf.
Die Insektenwelt und die Spinnentiere stellen einen Hauptteil des tierischen Lebens in diesem Biotop dar: es gibt dort unter anderem verschiedene Tagfalter, z.B. den farbenfrohe Admiral und den C-Falter. Specht, Star, Steinkauz und andere höhlenbrütende Vogelarten sind ebenfalls anzutreffen. Aber auch viele Pflanzen, insbesondere Moose, Flechten und Algen siedeln sich an den Ästen an.

Der Steinkauz
Der Steinkauz steht auf der "Roten Liste" der vom Aussterben bedrohten Arten. Er braucht großräumige Gebiete zum Leben und gehört mit seinem dunkelbraunen Gefieder und den weißlichen Tupfen zur Familie der Eulen. Er jagt nicht nur in der Nacht seine Beute, sondern auch am Tage. Seine Lieblingsspeise sind Insekten und Kleinsauger. Er lebt das ganze Jahr auf Streuobstwiesen, aber auch in Steinbrüchen.
Die BUND-Ortsgruppe sieht ihre Arbeit als einen Beitrag an diesem selten gewordenen Lebensraum, der in den letzten Jahrzehnten fast überall in Deutschland um 80% zurückgegangen ist. Sie will diese Streuobstwiese erhalten und dem Artenschwund der alten Obstsorten entgegenwirken.

BUND Eichsfeld zum Thema Streuobstwiesen
Streuobstwiesen sind eine wertvolle Bereicherung der Eichsfelder Kulturlandschaft, für deren Erhalt es zu werben gilt. Auf die Dauer haben sie nur eine Überlebenschance, wenn sie richtig genutzt und gepflegt werden.
Die BUND-Gruppe Eichsfeld hat aus dem Wissen heraus, daß Streuobstwiesen ein wichtiger Lebensraum und Rückzugsgebiet für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten sind, die Patenschaft für eine solche Obstwiese übernommen.
Zu den Pflegeaktionen, zu denen der Obstbaumschnitt, das Anbringen von Nisthilfen und die Grasmahd nach der Blüte gehören, sowie zur Apfelernte treffen sich die Heiligenstädter BUND-Mitglieder regelmäßig. Aus den Äpfeln wird z.B. Most gewonnen. 

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