Methoden
Das Untersuchungsgebiet gliederte sich in zwei Teilbereiche: Ein erster Teilbereich umfasst die etwa 110 km² große Fläche des thüringer Harzes, sowie die dem Harz im Landkreis Nordhausen vorgelagerten Waldgebiete. Ein zweiter Teilbereich umfasst ein etwa 15 km² großes Gebiet, das sich im Landkreis Eichsfeld südlich an den niedersächsischen Harz anschließt (von diesem aber durch einen Streifen Kulturlandschaft sowie die Bundesstraße 243 getrennt ist).
Über beide Gebiete zusammen wurden insgesamt 16 Kamera-Standorte ausgewählt, an denen jeweils zwei Kameras ausgebracht wurden, um vorbei ziehende Luchse von beiden Seiten fotografieren zu können. Die Fotofallen wurden überwiegend entlang von Waldwegen aufgestellt, da sich Luchse (wie viele andere Katzenartige auch) bevorzugt entlang solcher Wege bewegen.
Mithilfe der Fotofallen-Aufnahmen konnten im Untersuchungsgebiet lebende Luchse anhand ihrer Fellmuster individuell voneinander unterschieden werden. Auf diese Weise ließ sich beurteilen, wie viele Luchse im Laufe unserer Untersuchung fotografiert wurden, und an welchen Fotofallen-Standorten diese Aufnahmen entstanden. Außerdem wurden alle im Rahmen unserer Pilotstudie individualisierten Luchse mit den Fotodatenbanken des Nationalparks Harz abgeglichen. So konnte beurteilt werden, ob ein in Thüringen fotografierter Luchs bereits aus dem niedersächsischen oder sachsen-anhaltinischen Harz bekannt war.
Ergebnisse
Im Verlauf der Untersuchung von Februar bis November 2019 entstanden insgesamt 84 Foto-Ereignisse (Definition siehe unten) von Luchsen. Knapp 80% davon ließen sich anhand des Fellmusters unterschiedlichen Luchsen individuell zuordnen. Insgesamt konnten im Laufe dieser Untersuchung sieben selbstständige (erwachsene) Luchse und drei Jungtiere fotografiert werden.
Im nördlichen Eichsfeld konnten zwei Luchse individualisiert werden. Bei einem der Luchse handelt es sich um einen Kuder, also einen männlichen Luchs, der bereits aus dem niedersächsischen Harz bekannt war. Bei dem zweiten Luchs handelt es sich um ein Weibchen, welches bislang noch nicht bekannt war. Da sich beide Tiere über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten im Untersuchungsgebiet aufhielten, können sie als residente, das heißt standorttreue, Luchse eingestuft werden.
An den sieben Fotofallen-Standorten im thüringer Harz konnten vier verschiedene Luchse nachgewiesen werden. Die meisten Nachweise entfielen auf ein Weibchen, welches bereits aus dem sachsen-anhaltinischen Harz bekannt ist, und das vermutlich Anfang Mai im thüringisch-sachsen-anhaltinischen Grenzbereich Junge zur Welt brachte. Das Weibchen wurde in den Jahren 2016 und 2017 bereits mit Jungtieren von Wildkameras im sachsen-anhaltinischen Harz erfasst.
Neben diesem Weibchen wurde ein zweiter Luchs regelmäßig von unseren Kameras erfasst. Bei diesem Luchs handelte es sich um einen Kuder, der bereits aus Sachsen-Anhalt bekannt ist. Beide Luchse sind als resident einzustufen. Ihre Streifgebiete erstrecken sich bis nach Sachsen-Anhalt.
Von den drei übrigen im Projekt erfassten Luchsen entstanden zu wenige Aufnahmen, um gesicherte Aussagen über den Status dieser Tiere treffen zu können.
Das Projekt zeigt, dass neben dem Südharz auch die Waldgebiete im nördlichen Eichsfeld einen geeigneten Lebensraum für den Luchs darstellen, sowie möglicherweise einen ersten Trittstein für die Ausbreitung der Art nach Süden. Dass zwei der erfassten Luchse ausserhalb des Harzes leben, legt nah, dass der Luchs auch in stärker fragmentierten Waldgebieten der deutschen Kulturlandschaft heimisch werden kann.
Zukünftige Untersuchungen sollen nun zeigen, wie weit sich die Streifgebiete der beobachteten Luchse nach Süden erstrecken, ob sich dort die Streifgebiete weiterer residenter Luchse anschließen und ob auch weiter vom Harz entfernt gelegene unzusammenhängende Waldgebiete Lebensraum für den Luchs sein können.
Wenn eine Fotofalle von einem Wildtier oder einer Gruppe von Wildtieren ausgelöst wird, kommt es nicht selten vor, dass mehrere Aufnahmen des Tieres oder der Tiergruppe entstehen. Daher werden alle Aufnahmen, die in einem zeitlichen Abstand von unter 5 Minuten zur vorangegangenen Aufnahme entstehen, zu einem sogenannten Foto-Ereignis zusammengefasst.
Foto im Header © Markus Wittmann / Pixabay